Im Konzertalltag führt ihn das zu enormem, zuweilen kaum zu bewältigendem Aufwand. Denn in seinem Gepäck befinden sich neben einem seiner eigenen Flügel gleich mehrere Klaviaturen, wobei das Instrument der jeweiligen Tournee je nach gespieltem Programm eigens ausgewählt und klaviertechnisch vorbereitet wird. Der Pianist selbst beschäftigt sich dafür stets persönlich genauestens mit Fragen des Klavierbaus, gegebenenfalls auch mit der Aufnahmetechnik, führte auch immer wieder akustische Messungen in den Konzertsälen durch, um das Ergebnis optional seinen Vorstellungen anzupassen – und es nicht selten anschließend wieder zu verwerfen.
So hat Pianistenexperte Gregor Willmes diesbezüglich von einer „fast schon selbstzerstörerischen Neigung zur Selbstkritik“ gesprochen, Zimerman zugleich auch – in Bezug auf seine Aufnahme der Liszt-Sonate – das „Paradox des streng kalkulierten Rausches“ bescheinigt. Und tatsächlich liegt in dieser Formulierung etwas Treffendes. Denn schon immer war sein Spiel ungemein präzise ausgefeilt und kontrolliert, doch zugleich gelang es ihm – und zwar über die Jahre mehr und mehr –, diese Genauigkeit mit spontan wirkender Emotionalität zu verbinden.
Es spricht sehr für dieses Ziel, dass Zimerman auch die Herausforderung der musikalischen Interaktion mit anderen Musikerinnen und Musikern sucht. Exemplarisch hat er seinen Ansatz bei seiner zweiten Aufnahme der beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin gezeigt (nachdem er 1980 bereits eine Referenzaufnahme mit dem Los Angeles Philharmonic unter der Leitung von Carlo Maria Giulini vorgelegt hatte): Sein 1999 eigens gegründetes Polish Festival Orchestra leitete er dabei vom Flügel aus, um größtmögliche klangliche Homogenität zu erreichen.
Die Konzertmeisterin war damals Maria (Marysia) Nowak. Nun ist die Geigerin Teil jenes Ensembles, mit dem Zimerman gerade kammermusikalisch zusammenarbeitet. 2019 begann das Quartett, bei dem außerdem Bratschistin Katarzyna Budnik und Cellist Yuya Okamoto mitwirken, mit Tourneen in Italien und Japan, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu präsentieren. Mit den Klavierquartetten Nr. 2 A-Dur, op. 26, und Nr. 3 c-Moll, op. 60, von Johannes Brahms sind sie nun im Großen Musikvereinssaal zu erleben. „Ein Pianist, der Kammermusik spielt, nimmt für mich einen höheren Rang ein als jemand, der einfach nur Klavierkonzerte spielt“, sagte Krystian Zimerman in einem Interview mit Peter Blaha für das Brucknerhaus Linz, wo er vergangenes Jahr einen Soloabend gab: „Ich komme aus einer Kammermusik-Familie. Die ganze Kindheit haben wir zu Hause Kammermusik gespielt. Das war für mich die schönste Zeit des Lebens.“
Daniel Ender
Der Musikwissenschaftler und -journalist Dr. Daniel Ender verfasste Monographien über Richard Strauss und Beat Furrer sowie zahlreiche Aufsätze, lehrte an verschiedenen Universitäten und schreibt regelmäßig für den „Standard“ und die „Neue Zürcher Zeitung“. Seit 2015 arbeitet er für die Alban Berg Stiftung, seit 2018 als deren Generalsekretär.