Während András Schiff sein Repertoire behutsam reduziert, um „alte Sachen noch besser zu spielen“, findet auch Cecilia Bartoli verstärkt zur Musik von Gioacchino Rossini zurück. Mit der Rosina im „Barbier von Sevilla“ schaffte sie 19-jährig den internationalen Durchbruch. Neben ihrem eigenen akribischen Forschen hat Nikolaus Harnoncourts gelebte „Klangrede“ ihre Interpretationen des Belcanto-Repertoires beeinflusst. Für Cecilia Bartoli „ein Muss“, wie sie im Interview mit der „Opernwelt“ 2017 unterstreicht. Das Genie Rossinis speise sich letztendlich aus dem Barock. Wie sein Nachfolger Giuseppe Verdi betrachtete er Mozart als den Größten. Mit seiner bahnbrechenden rhythmischen Motorik setzte er die Musik unter Strom. Der Rossini-Taumel in Wien vergraulte Beethoven, während Schubert dem neuen Anderen in seiner Musik nachspürte. Mit der Ur-Komödiantin Bartoli als Rossini-Begeisterte bleiben wie bei Mozart Tränen im prallen Lachen eingestickt.
Vor vier Jahren hat die Intendantin Bartoli ihr Festival in Salzburg, die Pfingstfestspiele, dem Thema „1868 – Zeitenbrüche“ gewidmet. Die stets neugierige Forscherin schreibt ihrem Publikum auch warum: „Es hat mich immer berührt, dass Mozart gerade einmal drei Monate tot war, als Gioachino Rossini im Februar 1792 geboren wurde. Europa befand sich damals in einem tiefgreifenden Umbruch. Nach der Absage an den Absolutismus wütete in Frankreich die Revolution, der die europäischen Mächte Einhalt gebieten wollten. Als Rossini 76 Jahre später, am 13. November 1868, starb, befand sich Europa wieder an einer Zeitenwende: Die modernen Industriestaaten begannen sich auszubilden und ein weitreichender Wandel der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen kündigte sich an. Auch musikgeschichtlich steht Rossini zwischen den Epochen. War er den einen ein Neuerer und der Vollender der italienischen Oper, galt er den anderen bald als Epigone und Repräsentant einer überkommenen Ära und schien aus der Zeit gefallen.“ Rossini hat sich dieses Aus-der-Zeit-Fallen mit „Alterssünden“ versüßt.
„Music must be moving or fun“, sagte einst Leonard Bernstein. Die Geburtsstätte der beiden Künstler András Schiff und Cecilia Bartoli, Budapest und Rom, liegen mit dem Auto 1.214,3 km entfernt. Nicht wirklich auf halber Strecke, sondern schon im Süden, den auch András Schiff besonders liebt, liegt Venedig, dem die beiden mit „La regata veneziana“ von Rossini huldigen. Das junge Mädchen Anzoleta fiebert mit ihrem geliebten Momolo mit. Vor, während und nach der Regatta, ehe der finale Kuss das Happy End anzeigt. Cecilia Bartoli als verliebte Sportreporterin, das gäbe ein Szenenbild für die von ihr so geschätzten Rossini-Inszenierungen des Duos Moshe Leiser und Patrice Caurier. Die Chefin der Salzburger Pfingstfestspiele und Intendantin der Opéra Garnier Monte Carlo ist unverändert ein quirliger Bühnenvulkan à la Rossini. In der intimen Form des Liedes verdichtet sie die großen Gefühle zu hochprozentigen Miniaturen.
Auf den Spuren der spanischen Mezzosopranistin Conchita Supervía vermag Cecilia Bartoli echte Menschen zu verkörpern. Mit ihrer Stimme, die selbstverständlich und im Sog der Aufführung mit Nuancen spielt wie andere mit Reglern am Mischpult. An diesem Punkt trifft sie auf ihren Bühnenpartner András Schiff, für den die Musik aus der Stille kommt. Knisternd still ist es meistens, wenn Bartoli mit Rossini durchatmet. Ihre intensive Art, mit Augen und Gesten zu musizieren und dabei doch ganz ruhig zu bleiben, versetzt das Auditorium nicht selten in ein staunendes Lauschen.
Rossini besaß Humor und Selbstironie. Cecilia Bartoli ist ebenso schlagfertig wie charmant. Sie bringt die Dinge auf den Punkt und verlangt dies unmissverständlich auch von anderen. Diese Ansätze finden sich auch in den Liedern Rossinis: „Die Primadonna bin ich.“ Wer es zu ernst nimmt, könnte mit Pathos straucheln. In der elegischen Ballade „L’Orphéline du Tyrol“ jodelt ein Tiroler Waisenmädchen ihren Kummer von der Seele. Bei Rossinis Pariser Samstag-Soiréen war im übertragenen Sinn auch „La Grande Coquette“ zugegen, Madame Pompadour, die große Verführerin des Königs. Und schließlich „La danza“ aus der Feder des Dichters und Politikers des Risorgimento Carlo Pepoli. Rossini vertonte das Lied als neapolitanische Tarantella: „Mamma mia, si salterà“, es wird vermutlich nicht bei einer Zugabe bleiben. Apropos Nachschlag: Das Lieblingsgericht Cecilia Bartolis sind die „Rigatoni all’amatriciana“ ihrer Mutter. Das Geheimnis liege dabei in der richtigen Mischung aus Guanciale, leichter Schärfe und frischen italienischen Tomaten.
Ursula Magnes
Mag. Ursula Magnes ist Musikchefin und Moderatorin bei Radio Klassik Stephansdom.