BRUCKNERS ABSCHIED
Letzte Werke, letzte Worte, letzte Klänge. Auch wenn man nicht zu Mystifikationen neigt, steht man sinnend vor einem Abschiedswerk wie Bruckners Neunter Symphonie. Der Komponist zauderte, sie überhaupt zu beginnen. „I mag’ die Neunte gar nöt anfangen, i trau mi nöt, denn“, soll er wörtlich und dann in feierlichem Schriftdeutsch gesagt haben, „auch Beethoven machte mit der Neunten den Abschluss seines Lebens.“ Zögerlich ging er an die Arbeit, insgeheim mit dem lieben Gott verhandelnd, dem er die Symphonie widmen wollte. „Lieber Gott, lass mich bald gesund werden, schau, ich brauche ja meine Gesundheit, damit ich die Neunte fertigmachen kann …“ Bruckners Arzt hat das Diktum so überliefert. Er durfte sie nicht „fertigmachen“, diese Symphonie, die er mit einem „Lob- und Preislied an den lieben Gott“ abschließen wollte. So blieb das Adagio der letzte vollendete Satz, „Abschied vom Leben“ – Bruckner selbst sprach davon, als er dieses Adagio kommentierte und den sanft herabgleitenden Choral der Hörner und Tuben im zweiten Themenkomplex mit genau diesen Worten bezeichnete. Die Neunte ist „Fragment“ geblieben. Vielleicht – so viel Spekulation darf jetzt doch sein – war das die noch stimmigere Form für den Gottesdienst des gläubigen Anton Bruckner? Was der Mensch nicht vermag, vollendet Gott … Die Neunte Bruckners ist, auf ihre Weise, das Vollendetste, was im Unvollkommenen möglich ist. Christian Thielemann dirigiert sie am 31. Mai, in einem Musikvereinskonzert mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden.