In St. Petersburg halfen die gewaltigen Kapazitäten des Theaters, den Einschränkungen teilweise zu entgehen. Dank dreier großer Auditorien konnten jeweils 1000 Besucher gleichzeitig Konzerte und Vorstellungen besuchen. Bespielt wurden außerdem sechs mittlere und kleinere Säle mit Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche oder jene, die sich einen Kartenkauf nicht leisten können. Trotz Pandemie verlief die vergangene Saison erfolgreich. „Wir hatten“, so Gergiev, „viele neue junge Sänger, viele neue Rollen für unser Ensemble – und auch Solisten, die schon 30, 40 Jahre singen, lernen gerne neue Partien.“
In vielen russischen Provinzstädten gibt es Opernhäuser, meist alte, viele aus sowjetischer Zeit. Die lokalen Kräfte sorgen mit großem Einsatz dafür, dass die Bevölkerung mit Oper, Ballett und Konzerten versorgt ist. Die vorhandenen Kapazitäten reichen jedoch nicht aus, um beispielsweise eine große Mussorgskij-Oper auf professionellem Niveau aufzuführen. Also kommt das Mariinsky Theater, um auch diesem Publikum Großstadtformat zu bieten. „Allein im Jahr 2019 hatten wir im eigenen Land rund 2000 Auftritte, die Auslandsreisen nicht mitgerechnet. Das sind die künstlerischen und menschlichen Ressourcen unseres Theaters.“
Gergiev ist dabei ständig auf der Suche nach jungen Talenten. Diese bekommen Gelegenheit, sich im hauseigenen Opernstudio, geleitet von Gergievs Schwester Larissa, zu entwickeln, im Ensemble Erfahrung zu sammeln. „Wir haben Dutzende Stimmen von Weltrang. Ich bin stolz darauf, mit diesen Kollegen zusammenzuarbeiten.“ Besonders weist Gergiev darauf hin, dass sein Theater das Wagner-Repertoire kontinuierlich erweitern konnte. Mit dem zuletzt erarbeiteten „Tannhäuser“ und den gegen Jahresende hinzukommenden „Meistersingern“ stehen dann zehn Wagner-Opern im Repertoire. „Unsere Sänger haben sich in diesem Repertoire schon bewährt und singen diese Partien weltweit.“ Aber auch für Rares findet sich bei ihm Platz: zuletzt eine Produktion der „Lakmé“ von Léo Delibes, wegen der von den Sängern geschätzten „Hits“ auch ein Zugstück fürs Publikum. Und dann liebt der Maestro Ballett: die bahnbrechenden Werke der Diaghilev-Saisonen, die berühmten und weniger bekannten Schöpfungen der Sowjetära, aber auch stets Zeitgenössisches. Gergiev steht bei Ballettabenden gerne selber am Pult.
Das Herzstück in den Plänen des Maestro stellen fraglos die eigenen russischen Komponisten dar. Für diese Großen seien mehr „Denkmäler“ notwendig. „Im Westen steht in Salzburg Mozart im Zentrum, in Bayreuth Wagner, in Bonn Beethoven. Wir haben da bezüglich unserer Komponisten ein Defizit. Es müssen Denkmäler für sie geschaffen werden, nicht nur in Form von Monumenten aus Stein, sondern durch ständige Zuwendung.“ Er plant eine Reihe von speziellen Festivals für Glinka, Mussorgskij, Rimskij-Korsakow, Tschaikowskij, Rachmaninow, Prokofjew und Schostakowitsch jeweils in deren heimatlichen Regionen, aber auch in den beiden Hauptstädten. Begonnen hat dieses Projekt im letzten Frühjahr mit Igor Strawinsky um dessen 50. Todestag am 6. April. Mit Opern, Orchesterwerken, Solistenkonzerten und vielen Ballettaufführungen. Einen Vorspann dazu hätte auch Wien erleben können, die drei Musikvereinskonzerte fielen leider dem Lockdown zum Opfer. „Wir brauchen für diese Projekte keine Agenturen, keine Werbung, wir haben genügend eigene Ressourcen. Wir erbitten dafür auch keine Auszeichnungen, Orden oder Prämien. Das ist nicht unser Ding, wir sind allein den Komponisten verpflichtet. Wir können jährlich zehn bis fünfzehn Festivals ausrichten, unsere Kapazitäten sind gewaltig.“ Zwei große Festivals haben bereits Tradition: in St. Petersburg die „Weißen Nächte“, in Moskau das Osterfestival.