Doch nochmals: Das soll eine Oper sein? Ein eigener Fachbegriff war fällig für dieses merkwürdige Genre, das in den 1690er Jahren in England seine Blüte erlebte: „Semi-Opera“, Halboper – in gewisser Weise ein typisch britischer Kompromiss zwischen Common Sense und der dennoch vorhandenen Lust an opulenter Unterhaltung. Der streng asketische, in Irland bis hin zum Genozid antikatholische Puritanismus, wie ihn „Lordprotektor“ Oliver Cromwell in der kurzen Zeit der militärdiktatorisch gestützten Republik verkörperte, hatte zur Schließung der Londoner Theater geführt. Mit der Wiederkehr der Monarchie, von König Charles II. aus dem Pariser Exil und der Wiedereröffnung der Bühnen 1660, explodierte nicht nur die Schau-, sondern auch die Hörlust. Zwar beharrte der Geschmack zunächst auf dem Schauspieldialog als narrativer Grundlage der Stücke, aber die musikalische Ausgestaltung in Form von Interludien, Tänzen, Arien und Ensembles, vorzugsweise von überirdischen Figuren oder als im Stück gesungene Lieder, nahm immer mehr überhand – bis man von einer „Dramatick opera“ oder „Semi-Opera“ sprach: nach dem Vorbild der französischen Oper mit ihren Divertissements, eigenständigen Zwischenaktmusiken, die mit der Haupthandlung in mehr oder minder deutlicher Verbindung standen, aber doch auch eigenständig waren und allegorische oder mythische Personen auftreten ließen. Dass diese sich singend ausdrückten und unterhielten, leuchtete auch den nüchternen Briten ein.
Das heißt also: Man gab Shakespeares „Midsummer Night’s Dream“ – übrigens mit Kinderdarstellern als Oberon und Titania! – und diese Aufführung weitete sich durch Purcells Beitrag in seinerzeit ungeahnte musikdramatische Dimensionen. Der frühe Tod des als „Orpheus Britannicus“ verehrten Komponisten schon wenig später, 1695, im Alter von vermutlich 36 Jahren, bedeutete einen unersetzlichen Verlust nicht nur für die englische Musikgeschichte. Die assoziativen Anknüpfungspunkte sind bei Kenntnis des Schauspiels auch heute noch nachvollziehbar. Freilich bezog man sich 1692, rund hundert Jahre nach der Entstehung des Shakespeare-Stücks, nicht – oder nicht mehr – auf das Originaldrama, sondern auf eine entsprechend gekürzte Fassung von heute unbekannter Hand. Dabei hat Shakespeare im Allgemeinen und der „Sommernachtstraum“ im Besonderen immer wieder Bearbeiter auf den Plan gerufen: Zuerst wurde das Rüpelspiel herausgelöst, separat aufgeführt oder anderswo eingefügt, dann machten sich die Elfenszenen selbständig („The Fairies“, 1755, „Fairy Tale“, 1768). Und als Bearbeitung der Romantik muss man die deutsche, die Rezeption lange Zeit prägende Übersetzung durch August Wilhelm von Schlegel 1843 und ihre spätere Verbindung mit der Musik Felix Mendelssohns ansehen. Denn „romantisch“ war zunächst nichts an einem Geschehen, das „die Macht, die der Schlaf über den Menschen ausübt, mit einer fast destruktiven Energie“ ausstattet, wie Peter-André Alt in „Der Schlaf der Vernunft“ festhält, einer Kulturgeschichte von Literatur und Traum: Bei Shakespeare „gebiert der Schlaf eine unsteuerbare Welt der Gefühle und mit ihr die subversive Kraft eines Verwandlungszaubers, der Liebende zu Hassenden, Ungeliebte zu Geliebten, Esel zu Engeln, Elfenköniginnen zu Närrinnen machen kann.“