Mittlerweile war Zemlinsky eine – auch internationale – Größe geworden. 1897 gewann seine Oper „Sarema“ den Münchener Luitpold-Preis und gelangte im dortigen Hoftheater zur Uraufführung, 1900 hob Gustav Mahler in der Wiener Hofoper die Oper „Es war einmal“ aus der Taufe. Im selben Jahr wurde Zemlinsky Chefdirigent am Wiener Carl-Theater, 1903 Dirigent am Theater an der Wien, im Herbst 1904 wechselte er als Musikdirektor an die Wiener Volksoper, im Mai 1907 berief ihn Gustav Mahler an die Hofoper. Ab 1908 dirigierte er (nach Mahlers Abgang und der Absetzung seiner Oper „Der Traumgörge“) wieder vornehmlich an der Volksoper (wo 1910 seine Oper „Kleider machen Leute“ erklang), im Sommer 1911 bei Max Reinhardts Münchener Operettenfestspielen, und im September jenes Jahres wurde er Erster Kapellmeister des Prager „Neuen Deutschen Theaters“ – 1920 noch Rektor sowie Professor für Dirigieren und Komposition an der dortigen deutschen Musikakademie.
1917 war in Stuttgart seine „Florentinische Tragödie“ zu hören gewesen, 1922 in Köln der Einakter „Der Zwerg“ (1933 folgte in Zürich „Der Kreidekreis“). 1927 wechselte Zemlinsky als Erster Kapellmeister an die Berliner Kroll-Oper, wo auch Otto Klemperer, Erich Kleiber und George Szell wirkten, daneben war er umjubelter Gast an internationalen Opernhäusern. Doch 1933 musste er Berlin verlassen. Er kehrte über Prag nach Wien zurück, arbeitete, wieder vor allem im Musikverein, als Dirigent sowie Klavierbegleiter und komponierte die (1995 von Antony Beaumont fertiggestellte) Oper „Der König Kandaules“. Im Herbst 1938 folgte die endgültige Entwurzelung: Zemlinsky emigrierte über Prag in die USA, wo er bald erkrankte und am 15. März 1942 in Larchmont (New York) starb.
1895 hatte Zemlinsky den „Musikalischen Verein Polyhymnia“ initiiert, wo er seinen späteren Schüler und Schwager Arnold Schönberg kennenlernte, der 1901 seine Schwester Mathilde heiratete. Sowohl dort wie bei späteren Aktivitäten arbeiteten die beiden eng zusammen, und wenn auch ihre kompositorische Entwicklung bald auseinanderlief, war die gegenseitige Wertschätzung bis zuletzt ungebrochen. „Ich habe immer fest geglaubt, daß er ein großer Komponist war“, äußerte sich Schönberg über den Freund, Alban Berg bezeichnete ihn als „kolossalen Kerl“, und Franz Werfel sah ihn als „Urmelodiker, der unverbogen singt und singen muß“. Dieses „Singen“ prädestinierte ihn sowohl für groß angelegte Bühnenwerke als auch für kleinere Vokalkompositionen – sein Liedœuvre ist eines der bedeutendsten der frühen Moderne. Sein hoher Sinn für kunstvolle vielstimmige Entwicklungen und für ein hypersensibles Irisieren der orchestralen Klangfarben stempelt ihn zudem zu einem bedeutenden Ahnherrn der Musik des 20. Jahrhunderts.
Auch als Dirigent war Zemlinsky einer der ganz Großen, wovon u. a. Igor Strawinsky überzeugt war: „Ich glaube, von allen Dirigenten, die ich je gehört habe, würde ich Alexander von Zemlinsky als den überragenden wählen.“ Zemlinsky spornte die Musiker u. a. durch sein faszinierendes „Mitgestalten“ der Musik zu Hochleistungen an: „Sein Gesicht beim Dirigieren! [...] Zemlinsky mimt am Pulte die ganze Oper, alle Rollen; er lacht, macht ein grimmiges Alberich-Gesicht, spielt Wotans würdevolle Haltung, ziseliert die anmutigen Linien des Papageno-Papagena-Duettes etc.“ Zudem forderte er noch das „alte“ Rubato, das „off beat“-artige „Verziehen“ der Oberstimme gegen die gleichmäßig „im Takt“ schreitende Begleitung, und lässt uns erahnen, dass an „unserem“ Conservatorium einiges mehr über interpretatorische Traditionen gelehrt wurde als heute an so manchen Musikuniversitäten.
Zemlinsky, von den Nationalsozialisten verpönt, in der Nachkriegszeit vergessen, erfährt seit den 1980er Jahren eine enorme Rehabilitierung – einen großen Anteil daran hat der 1989 noch gemeinsam mit der Witwe des Komponisten gegründete „Alexander-Zemlinsky-Fonds bei der Gesellschaft der Musikfreunde“. Sein Zweck ist „die Förderung der Verbreitung und des Verständnisses der Werke“ des Komponisten, der damit wieder gleichsam „heimkam“. Und gemeinsam mit dem Fonds plante die Gesellschaft für das Frühjahr 2021 einen „Alexander-Zemlinsky-Zyklus“ sowie ein internationales Symposion, das angesichts der Corona-Situation auf den Herbst verschoben werden musste. Es wird nun am 19. und 20. November stattfinden und erneut Zemlinsky als einen der bedeutendsten Vertreter jener hochexpressionistischen Endphase der tonalen Musik ausweisen, in der die Atonalität zwar bereits zu erahnen war, jedoch noch nicht tatsächlich eintrat.
Hartmut Krones
Emer. o. Univ.-Prof. MMag. Dr. Hartmut Krones leitete das Institut für Musikalische Stilforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Er ist Vorsitzender des Egon-Wellesz-Fonds sowie Mitglied des Komitees des Alexander-Zemlinsky-Fonds bei der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.