Elektrisierende Führung
Auf Proben kann man beobachten, wie Dudamel – sofern es kein Pult als Barriere gibt – vorrückt bis auf die Kante seines Podests: Da schweben beide Füße beständig halb in der Luft, so sehr will er beim Dirigieren in das Orchester hineinkriechen, sich ihm einverleiben. Mehr körperliche Nähe geht nicht. Der Dirigent möchte offensichtlich kein exponierter Pultstar sein, sondern Teil des Orchesters, des Klangs, des Werks. Er will keine Distanz, sondern Verschmelzung. Klar ist: Dirigieren ist nicht nur Menschenführung, sondern auch Kommunikation. Verbal und nonverbal. Erst recht in heutigen Zeiten. Und auch einem Orchester, sagt Dudamel, helfen natürlich bei der Interpretation zunächst seine Worte. Aber dann brauche es auch Gesten, in die dann sein Intellekt und sein Wissen, seine Intuition und Gefühle einfließen. Und eine ausdrucksvolle Körpersprache – die allerdings für den leidenschaftlichen Tänzer („Jazz, Latin, Pop, Rock – ich liebe alles, was Rhythmus hat“) kein wirkliches Problem darstellt.
„Wenn er dirigiert, so kraftvoll und so elektrisierend, spielen wir, als gäbe es kein Morgen“, erzählt die Geigerin Bing Wang, seit 26 Jahren Stellvertretende Konzertmeisterin im – wie die Amerikaner kurz und knapp sagen – „LA Phil“. „Wir geben dann 150 Prozent. Nämlich auch die 50 Prozent, von denen wir nie dachten, dass wir sie hätten.“ Und sie und ihre Kollegen tun das für Dudamel seit nunmehr elf Jahren – damals wurde er als Music Director in der Hollywood-Stadt zum Nachfolger Esa-Pekka Salonens bestellt. Der seinerseits Nachfolger von André Previn, Carlo Maria Giulini und Zubin Mehta gewesen war. Dudamel war damals 28. Eine große Bürde? Ein hoher Druck? „No. Definitivamente no.“ Eher eine Herausforderung. Und, damit verbunden, natürlich der Ehrgeiz, es besonders gut zu machen.