Grandezza und Generosität
Reizvoll, sich diesen Musikverein auch weiblich zu denken – auf der Brücke des Romanischen, la casa, la maison: la Musikverein. Auch das würde gut passen, sich ihn so zu denken, pardon, natürlich sie. Was wäre sie, so gesehen? Eine Diva? Gut möglich, aber eine ohne Allüren. Eine Primadonna? Ja, selbstverständlich: eine Erste Dame mit Strahlkraft und Glanz, mit Wärme in der Stimme und Feinsinn fürs Ensemble. Großes Charisma wäre ihr zu attestieren, Eleganz und Noblesse, Grandezza und Generosität. Dieses Wort – darf ich ganz persönlich werden? – ist mir jetzt nur deswegen eingefallen, weil der junge Dirigent Lorenzo Viotti es soeben verwendet hat, bei Proben mit den Wiener Symphonikern und dem Singverein im Goldenen Saal. „Mehr Generosität“ wollte er hören bei Verdis „Quattro pezzi sacri“. Ein rares, köstliches Wort, das in diesem Raum eine besondere Aura entfaltet. Generosität, das meint ein großmütiges Sich-Lösen, ein großherziges Sich-öffnen-Können im Vertrauen auf die Resonanz. Und die ist so groß und tief an diesem Ort! 1898 wurden hier, im Großen Musikvereinssaal, die „Quattro pezzi sacri“ zum ersten Mal in ihrer endgültigen Gestalt aufgeführt. Verdi war bei dieser Premiere nicht persönlich anwesend, aber das Haus hatte er zuvor schon kennen und lieben gelernt. Sein Besuch führte ihn in alle möglichen Winkel des Gebäudes, er lauschte entzückt einem Konzert von Studierenden, er studierte beglückt Autographe im Archiv ... Man muss die historischen Details nicht kennen, aber man spürt es auf Schritt und Tritt: Im Musikverein lebt die Geschichte. Sie klingt und schwingt mit, wenn man die rechte Tönung dafür findet. Hingabe gehört dazu, Wissen, Respekt und Leidenschaft. Und Generosität. Der Musikverein gibt sie dann aufs Generöseste zurück.