Der Liebe Macht und Machwerk
Habent sua fata libelli. Über die Jahrtausende änderte der Pygmalion-Mythos – wie so viele antike Mythen – seine Aussage. Im Mittelalter erschien er noch als Beispiel für Liebestorheit und Liebesverhexung, so im „Roman de la Rose“, dem einflussreichsten Werk der mediävistischen französischen Literatur. Spätere Generationen schöpften daraus, was ihnen gefiel. So erwuchs aus dieser Geschichte von der Macht der Liebe der Mythos vom künstlerisch schaffenden Menschen wie jener vom künstlich geschaffenen – je nachdem, ob man den Fokus dem Schöpfer oder dem Geschaffenen zuwandte. Aber auch das Thema des täuschenden Trugbildes – das Changieren zwischen Fiktion und Realität – steckt darin, ebenso das Verhältnis von Kunst und Eros, dann das Bild, das man sich vom Menschen „macht“, und schließlich das Verhältnis von Körper und Seele – auch wenn Ovid sein Auge mehr auf die „figura“ als auf die „anima“ des vermenschlichten Elfenbeins richtet. Was spielt sich eigentlich im Inneren der äußerlich unübertrefflich Schönen ab? Damit sollte sich erst das psychologische 20. Jahrhundert beschäftigen.
Goethes kesse Lesart
Obwohl bereits die Renaissance Pygmalion ins Bild setzte, erlebte er – kulturgeschichtlich konsequent – seine Hochblüte im 18. Jahrhundert, als der Mensch, nach den Worten Kants, den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit suchte und göttliches Wirken aus irdischen Zusammenhängen allmählich ausblendete. Ein Beispiel für die Säkularisierung des Pygmalion-Mythos lieferte der blutjunge Goethe, der als Student in Leipzig unter dem ironischen Titel „Pygmalion. Eine Romanze“ ein Gelegenheitswerk im Stil der Anakreontik schrieb:„Es war einmal ein Hagenstolz,/ Der hieß Pygmalion./ Er machte manches Bild von Holz,/ Von Marmor und von Ton.// Und dieses war sein Zeitvertreib/ Und alle seine Lust./ Kein junges schönes sanftes Weib/ Erwärmte seine Brust.“
Als er sich in sein totes Werk verliebt, empfiehlt ihm ein Freund stattdessen ein käufliches Mädchen, dem er seine Liebe zuwendet und das er sogar heiratet. Die altkluge Conclusio des jungen Dichters lautet: „Drum seht oft Mädchen, küsset sie,/ Und liebt sie auch wohl gar,/ Gewöhnt auch dran, und werdet nie/ Ein Tor, wie jener war.// Nun liebe Freunde, merkt euch dies,/ Und folget mir genau;/ Sonst straft euch Amor ganz gewiss,/ Und gibt euch eine Frau.“