Sibelius
zwischen Klischee und Wahrheit
Musik aus fremder Welt, Erscheinung aus den Wäldern und Wiesen, Spiegelung von 187.888 Seen: Sonderlich mehr fällt so manchem immer noch nicht zu Sibelius ein. Seine eigentliche Leistung, so Sibelius 1915, werde nicht erkannt. Der selbstironische Tagebucheintrag „Für die meisten wirst du eine Erscheinung aus den Wäldern bleiben“ wird bis heute als Artikelüberschrift missbraucht. Der urbane, kosmopolitische Künstler mit Faible für mondäne Restaurants, Bootsfahrten unter breitkrempigem Hut, Waldspaziergänge in Maßanzügen und -schuhen drang nie weiter als 400 km nordöstlich von Helsinki vor – zweimal in seinem 92 Jahre währenden Leben. Komponieren konnte er am besten in der Anonymität der Metropolen, in Rom, London, Paris und Berlin, wo er sich mehr als dreißigmal aufhielt.
Die Originalität seiner 1892 uraufgeführten „Kullervo-Symphonie“, die in Wien skizziert wurde, hat nichts mit finnischer Folklore zu tun, sondern mit in Wien bewusst erarbeiteten Kunstgriffen: Kirchentonarten, Quartenharmonik, 5/4-Metren. Die kompositionstechnischen Probleme seiner Zeit hat Sibelius wie Schönberg erkannt, sie aber eigenständig gelöst. Dennoch gilt Sibelius als einer jener, die „den Schritt über die Grenze der Tonalität nicht wagten“, wie immer noch klischeehaft formuliert wird, mit leicht mitleidigem Blick auf die, wie anmaßend mitschwingt, nicht seriell auftretenden Feiglinge.